Resonanz
kmuRUNDSCHAU: Das Büro ist tot. Lang lebe das Büro!
kmuRUNDSCHAU, 01/2020:
Das aktuelle Heft trägt den inspirierenden Untertitel „Wir können auch anders" und veröffentlicht den New-Work-Artikel:
Das Büro ist tot – Lang lebe das Büro!
Büro als Möglichkeitsraum
von Sven Bietau
New Work und agile Arbeitsmethoden sind in aller Munde. Doch was verbirgt sich tatsächlich hinter den neuartigen Begrifflichkeiten. Die Thematik rund um Bürowelten betrifft beinahe jeden.
Welche Bedürfnisse stehen hinter diesen Veränderungen und wie kam es überhaupt dazu?
Grundsätzlich lässt sich beobachten, dass Arbeitsräume in der DACH-Region meist noch sehr traditionell gehalten sind. Der Grossteil der erwerbstätigen Bevölkerung in Büros arbeitet in Einzel- und kleinen Mehr-Personen-Räumen mit verzimmerten Strukturen, ausgelegt auf eine lineare und hierarchische Arbeitsweise. Jedoch wandelt sich mit der zunehmenden Komplexität der gesellschaftlichen Strukturen auch die Anforderung an das physische Büro. Es hat eine ganz neue Rolle zu erfüllen.
Betrachten wir die gesamtgesellschaftliche Veränderung in den letzten Jahrzehnten, wird schnell klar, dass sich die grundlegende Zielsetzung unserer Arbeit massgeblich verändert hat und sich noch immer wandelt.
Unterschiedliche Raumkonzepte
Arbeitsraum war bisher immer gleichzeitig Notwendigkeitsraum. So war das im deutschsprachigen Raum sehr verbreitete Zellenbüro für das konzentrierte Abarbeiten von Sachaufgaben konzipiert. Diese Typologie hat jahrzehntelang basierend auf den damaligen Anforderungen funktioniert. Bei dieser singulären Ausrichtung standen Kreativität und Kommunikation noch nicht im Fokus.
Nun folgt aber eine Wende. Die Arbeitsprozesse und -bereiche in den unterschiedlichen Branchen haben sich teils grundlegend verändert: Die Digitalisierung beschleunigt die weltweite Vernetzung und Globalisierung. Um wettbewerbsfähig zu bleiben geht es in der heutigen Wissensgesellschaft zunehmend darum, möglichst schnell Innovationen zu schaffen.
Hier liegt die grosse Herausforderung: Die Arbeitsumgebungen müssen in ihrer Planung radikal neu gedacht werden. Wir benötigen neue Bürokonzepte, die auch die zeitgenössische Zielsetzung, Innovation und ihre begünstigenden Faktoren, ermöglichen und fördern.
Virtual Identity im ehemaligen Thalkirchner Bahnhof: Bürokonzept, Innenarchitektur und Design von CSMM – architecture matters, Foto: Christian Krinninger
Erfolgsfaktor Innovation
Unsere Informationsgesellschaft verlangt, konstant innovative Konzepte zu entwickeln, um sich gegen die Konkurrenz durchsetzen zu können. Wer schneller ist, hat die Möglichkeit, sich einen Marktvorteil zu sichern. Was also beflügelt unseren Erfindergeist? Welche Faktoren begünstigen Innovation?
Mit jahrzehntelanger Erfahrung in der Branche haben sich für uns drei prägnante Faktoren zur Innovationsförderung herauskristallisiert: Kreativität, Kommunikation und Serendipität.
Kreativität zielt darauf ab, neue Herangehensweisen zu bekannten Fragestellungen zu schaffen. Indem Routinen gebrochen werden, lassen sich Probleme unkonventionell lösen.
Kommunikation dient nicht nur essentiell zur Weiterentwicklung bestehender Ideen. Sondern gerade hierarchie- und abteilungsunabhängige Kommunikation verschafft uns Zugang zur gesamten mentalen Kapazität eines Unternehmens. Durch den Austausch lernt, entwickelt und verarbeitet der Mensch.
Die Serendipität - eine Reihe glücklicher Zufälle - fördert die Erzeugung organischer Prozesse: Der gut geplante Möglichkeitsraum forciert zufällige Begegnungen und ermöglicht unterschiedlichste Facetten von Arbeitsszenarien – häufen sich glückliche Zufälle, wächst das Innovationspotenzial.
Daher plädieren wir für den Ansatz, künftige Arbeitswelten als Möglichkeitsräume zu konzipieren. Denn sie verfolgen primär das Ziel, Innovation zu begünstigen. Sie schaffen dem Menschen eine Umgebung, in der er als soziales und innovierendes Wesen existieren kann. Alles ist in diesem Raum möglich, frei nach dem Prinzip der Serendipität - einem für Büroimmobilien neuartigen Aspekt. Unser Interesse ist es, Impulse zu geben und Prozesse anzustossen, die die Arbeitswelt verbessern.
Das Büro als Strategie
Als Planer konzipieren wir daher das Büro als „Multi-Tool“, ein Werkzeug, das den Nutzern dabei hilft, neue Visionen zu entwickeln und zu verwirklichen.
Ob wir es bewusst wahrnehmen oder nicht, kommuniziert der uns umgebende Raum unmittelbar mit uns und nimmt Einfluss auf das, was wir tun und wie wir es tun. Dieser Hebel der räumlichen Gestaltung birgt ein hohes Mass an Potenzial. Wir beobachten, dass dieser bislang bei einer Vielzahl an Planungen noch ungenutzt bleibt.
Unternehmen, die zukünftig wettbewerbsfähig bleiben wollen, benötigen heute aber mehr Raum für Empathie, Kreativität und Erfindergeist. Daher sollte jenen Faktoren besonders viel Platz eingeräumt werden, die Innovation begünstigen.
Doch wirken diese Arbeits- und Gemeinschaftsflächen der Konzentration diametral entgegengesetzt, obwohl deren Bedarf weiterhin bestehen bleibt: Nicht nur müssen die neu entstandenen Ideen erst noch ausgearbeitet und realisiert werden, sondern auch andere Aufgaben bedürfen Rückzugsorte, die konzentriertes Erledigen ermöglichen.
Aus der firmentypischen, individuellen Balance zwischen Kreativität und Konzentration entsteht der Erfolg für das jeweilige Unternehmen.
Kultur, Tätigkeitsinhalte und Raum stehen in einem ständigen Wechselspiel. Jedes Unternehmen lebt andere Grundsätze und benötigt somit ein massgeschneidertes Bürokonzept.
Die Herangehensweise von CSMM unterscheidet sich dabei vom herkömmlichen Prozess „Raumprogramm – Belegungsplanung – Umsetzung”. Die Fragestellung setzt tiefer in der Struktur der Arbeitswelt an – bei den Prozessen und ihren Optimierungspotentialen, den zu vermittelnden Werten des Unternehmens, der Kommunikations- und Führungskultur.
COWORK – Siemens Real Estate: Entwurf und Planung von D'NA und CSMM – architecture matters, Foto: Ortwin Klipp
Langfristige und nachhaltige Lösungen finden wir durch Analysen der unternehmensspezifischen Anforderungen, indem wir sowohl Geschäftsleitung als auch die Mitarbeiter frühzeitig in die Planung mit einbeziehen. Dies ist zudem ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die spätere Akzeptanz des räumlichen Wandels und der kulturellen Identität.
Da die Transformation der Arbeitswelt mit grossen Unsicherheiten verbunden ist, sehen wir es als die Aufgabe des Architekten, unsere Kunden bei dieser Herausforderung mit Hilfe von Change-Management-Prozessen zu unterstützen. Dieser ganzheitliche Ansatz stösst bei allen Beteiligten auf grosse Resonanz und hilft, die Veränderungen erfolgreich mitzugestalten.
Zahlreiche innovative Bürowelten für agile Arbeitsmethoden entstanden auf diese Weise in der Schweiz, Österreich und Deutschland.
Eines unserer jüngsten Projekte ist das BSH CO in München. In einem von aussen scheinbar normalen Bürogebäude befindet sich eine der interessantesten Arbeitswelten Europas: die Denkfabrik der BSH Hausgeräte GmbH. Das Architekturkonzept sollte eine ästhetische Antwort liefern, einen Think-Tank, einen Maker-Space zur Entwicklung von Prototypen und ein Testlabor unter einem Dach unterzubringen.
Das neue Denklabor verbessert nicht nur die Kooperation – besonders zwischen unterschiedlichen Abteilungen, sondern beherbergt auch die im Unternehmen gelebte Kultur der Multidisziplinarität, Agilität und Innovation – frei nach dem Prinzip des Möglichkeitsraumes.
Durch gute Planung und Umsetzung lässt sich das Potenzial entfalten, das der Möglichkeitsraum bietet, nämlich die geistige Freiheit der Mitarbeiter zu unterstützen und damit die Wertschöpfung eines jeden Unternehmens zu erhöhen.
So wirken sich vergleichsweise geringfügige Investitionen in die Arbeitsbedingungen überproportional auf die Produktivität der Mitarbeiter aus. Beispielsweise machen Raumkosten in Dienstleistungsunternehmen im Schnitt nur etwa 8 Prozent der Ausgaben aus, 12 Prozent die Sachkosten und 80 Prozent das Personal.
Entsprechend gross ist der Hebel, das volle Potenzial der Mitarbeiter zu entfalten, indem man die Qualität des Arbeitsortes, der Büroflächen und der Atmosphäre verbessert; denn Arbeitsphilosophie und Bürokultur fördern einander.
Die Rolle des Büros geht über die eines Innovation-Hubs hinaus: Denn auch, um Mitarbeiter zu finden und zu binden, spielen Bürokultur und Gestaltung des Arbeitsplatzes eine wesentliche Rolle: Forschungen des Fraunhofer Instituts haben in der „Office 21“-Studie bereits beeindruckend nachgewiesen, dass die Arbeitsumgebung und -ausstattung bei der Jobauswahl mit 83% auf Platz eins der Anreizkriterien – sogar vor finanziellen Anreizen und Boni – stehen. Entsprechend wird das Workplace Design inzwischen gezielt eingesetzt, um Talente zu gewinnen.
Denen wiederum soll es als Ort auch eine Unternehmensheimat bieten, wo sie sich wohlfühlen und auf die sie stolz sind; denn bei aller Individualisierung der Arbeit rückt das Büro als emotionales Bindemittel im Unternehmen und Wissensvermittler in den Fokus.
Büro 4.0 – New Work
Der physische Arbeitsraum behält seine grosse Berechtigung – in seiner neuen Rolle als Kultur- und Kommunikations-Hub. Der Möglichkeitsraum erlaubt, Arbeitsszenarien frei zu wählen und für jeden Mitarbeiter, sich kreativ zu entfalten. Seine Planung begünstigt nicht nur die serendipe Kommunikation, sondern auch, Ideen fokussiert zu Ende denken zu können.
Eine zukunftsorientierte Arbeitsumgebung wird im neu angebrochenen Jahrzehnt mehr sein als die Kopie oder Abwandlung überholter Typologien. Das Büro ist künftig kein Ort des reinen Abarbeitens mehr, sondern die Keimzelle für Innovation.
Das Büro ist tot. Lang lebe der Möglichkeitsraum!
Allianz Global Digital Factory: Entwurf und Planung von CSMM – architecture matters, Foto: Eva Jünger
Sven Bietau ist geschäftsführender Gesellschafter des Architektur- und Beratungsunternehmens CSMM – architecture matters
www.cs-mm.com